Kandy, Sri Lanka (Retroreisen). Nach dem unseligen Bürgerkrieg geht ein hörbares Aufatmen durch die Tee-Insel im Indischen Ozean.
Auf Wolken schweben? Nur wenigen ist es vergönnt, es den zierlichen „Wolkenmädchen“ von Sri Lanka gleich zu tun und in unbeschwertem Glücksgefühl über längere Zeit dem Himmel nahe zu sein. Als engelgleiche Wesen zieren sie nun bereits seit mehreren Jahrhunderten die Steilwand des Felsmassivs von Sigiriya Rock. Und dort stellen sie mit Hilfe ihrer auffälligen Formen und Farben eine unvergleichliche Leichtigkeit körperlichen Seins zur Schau. Verwirklicht sich in ihrer Existenz gar der Menschheitstraum vom lang anhaltenden Glück, das sich anderswo im Alltagsleben doch stets viel zu schnell verflüchtigt?
So vermitteln die „Wolkenmädchen“ mit ihrer anmutenden Eleganz selbst dieser steil aufragenden Felswand ein lyrisches Aussehen. So recht nach dem Geschmack des einstigen Herrschers von Ceylon, der mit den menschlichen Modellen dieser illustren Abbildungen seinen eigenen Harem füllte. Und der befand sich nirgendwo anders als auf dem Gipfel dieses als uneinnehmbar geltenden Löwenfelsens, auf den er sich aus Gründen der eigenen Sicherheit zurückgezogen hatte. Allerdings, wie die Geschichte lehrt, mit mäßigem Erfolg. Denn nicht einmal auf die eigenen Familienangehörigen war in Zeiten brutaler Machtkämpfe Verlass.
Abbild von Indien
Der ceylonesische Bruderkampf fand seine Fortsetzung im Zeitalter des Kolonialismus, als nacheinander die Portugiesen, die Holländer und schließlich die Briten die begehrte Tropeninsel ihrem jeweiligen Einflussbereich unterwarfen. Ja selbst mit dem Erreichen der staatlichen Unabhängigkeit von der britischen Krone Mitte des letzten Jahrhunderts sollten die Kämpfe noch nicht der Vergangenheit angehören. In jenen unglücklichen Jahrzehnten, als die tamilische Volksgruppe im Nordosten der Insel mit Waffengewalt von der Zentralregierung in Colombo einen eigenen Tamilenstaat forderte. Mehr als 100.000 Tote waren bis zum Ende der Streitigkeiten im Jahr 2009 zu beklagen, ein wahrhaft hoher Preis für eine erfolglose Aktion.
Inzwischen hat sich die Insel weitgehend von den Wirren des Bürgerkrieges erholt, und allenthalben wird ein tiefes Aufatmen hörbar. Das spüren nicht zuletzt die Besucher, die in den kritischen Zeiten ausgeblieben waren, nun aber unter neuen friedlichen Bedingungen in großer Zahl zurück strömen. Auf eine romantische Insel, die nun wieder zeigen kann, über welche landschaftlichen Reize und kulturellen Schätze sie verfügt. Gleichsam als Abbild des vorgelagerten indischen Subkontinents, allerdings in wesentlich kleineren Dimensionen.
Kulturelles Erbe
Zum kulturellen Zentrum des Landes hat sich die Stadt Kandy im zentralen Hochland der Insel entwickelt. Umgeben von einem zackigen Bergpanorama, ist sie rund um das koloniale Queen’s Hotel geprägt von einem quirligen Leben in unglaublicher Vielfalt. Fast so, als schlüge das wahre Herz des Landes nicht in der Inselhauptstadt Colombo an der Südwestküste, sondern in der Abgeschiedenheit dieser Religionsmetropole im Zentrum der Insel. Denn genau hier, darauf macht der Inselspezialist Sudu beim Rundgang durch die Stadt aufmerksam, befindet sich das allergrößte Heiligtum des Landes.
Es ist der buddhistische Zahntempel, der als kostbare Reliquie einen Zahn des historischen Buddhas in einem aufwändig dekorierten Schrein beherbergt. Als politisches Herrschaftssymbol wird er im Sommer jeden Jahres bei der „Kandy Perahera“ der Öffentlichkeit präsentiert. Eskortiert von zweihundert festlich geschmückten Repräsentationselefanten, die den an Größe und Pracht alles überragenden Hauptbullen mitsamt der Zahnreliquie durch die Stadt geleiten. Und sie alle umringt von Tänzern, Trommlern und Fackelträgern, die mit ihrem illustren Erscheinungsbild dazu beitragen, dieses ungewöhnliche kulturelle Erbe in ungebrochener Tradition weiter zu pflegen.
Vorrangstellung des Tees
Der wirtschaftliche Alltag der Region hingegen ist geprägt vom „grünen Gold“ der Insel, dem Tee. Nachdem vor zweihundert Jahren die hier angebauten Kaffeesträucher einer gefährlichen Pilzkrankheit zum Opfer gefallen waren, kam ein junger Engländer auf den Gedanken, die dadurch frei gewordenen Anbauflächen durch Teepflanzungen zu ersetzen. Eine hervorragende Idee, wie sich bald zeigen sollte, denn schon bald trat der Ceylon-Tee als Markenzeichen seinen Siegeszug auf den Weltmärkten an. Die Vorrangstellung des Tees in dieser Region kündigt sich bereits an während der Zugfahrt von Kandy hinauf in das Anbaugebiet von Nuwara Eliya.
Von den Talebenen bis hinauf zu den Berggipfeln erstreckt sich das zarte Grün der Teesträucher, die, ständig kurz gehalten, bis zu hundert Jahre alt werden können. So erklärt es Rawindra Keerthisinghe, der es trefflich versteht, die Zusammenhänge um die Teegewinnung rund um den „Ceylon Tea Trail“ deutlich zu machen. Jenes ältesten Tea Resorts der Welt, in dem alle fünf Farmhäuser mit ihrem gediegenen Kolonialstil inzwischen zu ebenso stilvollen Gästehäusern umgestaltet wurden. Zuletzt der Dunkeld Bungalow mit Blick auf den weit drunten im Tal gelegenen Castlereagh Lake.
Technik des Teepflückens
Hier erhalten die an der Teekultur interessierten Besucher von Rawindra alle Informationen rund um den Tee. Und schnell spannt sich ein ebenso überschaubarer wie unterhaltsamer Bogen „vom Teestrauch bis zur Teetasse“. Konkret nimmt er seinen Ausgangspunkt in einer der Plantagen, in der Pflückerinnen damit beschäftigt sind, mit unglaublich flinken Händen ihr durchschnittliches Tagespensum von 18 Kilogramm zu erreichen. Thambra Sanay ist eine von ihnen. Wie ihre tamilischen Vorfahren ist sie, so erklärt sie voller Stolz, bereits seit zwei Jahrzehnten an dieser Stelle tätig und hat seither die Technik effektiven Teepflückens zur Perfektion heranreifen lassen.
Dabei hilft ihr ein gut zwei Meter langer Holzstab, den sie von oben her waagerecht auf die Sträucher legt. Damit ist die Ebene gekennzeichnet, innerhalb derer die hellgrünen Blätter abgeerntet werden. In Zusammenarbeit mit 17 anderen Pflückerinnen wird auf diese Weise die vorgesehene Fläche von einem Acre pro Tag bearbeitet. Am nächsten Tag wartet dann bereits die nächste gleich große Erntefläche auf sie. Bei diesem Ausmaß durchorganisierter Handarbeit sucht man auf dem gesamten Farmgelände vergeblich nach mechanischen Erntemaschinen. Denn diese garantieren, so Plantagenführer Rawindra, bei nur ungefährer Präzision bei weitem nicht die per Hand angestrebte Teequalität.
Unterschiedliche Geschmacksrichtungen
Umso erforderlicher sind sie dagegen in der nahe gelegenen Fabrikhalle, in der die Technik mit mehr als hundert Jahre alten Maschinen das Bild bestimmt. Hier dominieren Ventilatoren, Schüttler, Roller, Cutter und Sortiermaschinen. Sie alle dazu da, den Blättern zunächst die Feuchtigkeit zu entziehen und sie sodann in den angestrebten Fermentierungsprozess zu überführen. Ein komplexer Vorgang mit vielen Details, die jeweils unterschiedliche Geschmacksrichtungen nach sich ziehen.
Diese hängen, so Rawindra, natürlich ab von der jeweiligen Höhenlage der Sträucher und von der beim maschinellen Arbeitsprozess gewonnenen Größe der Blattstückchen. Je nachdem, ob diese eher großflächig bei hellem Aufguss ihre eigene Süße ins Spiel bringen. Oder ob sie mit pulverartigen Bestandteilen und dunklerer Farbigkeit eher einen intensiveren, sogar bitteren Geschmack abgeben. Bepackt mit so viel Fachwissen kann endlich am Ende der Führung die Verkostung verschiedener Teesorten beginnen. Diese wird als kulinarisches Gesamterlebnis nur noch überhöht von einem stilvollen „High Tea“, wie er auf der Terrasse des Dunkeld Bungalows mit allem Drum und Dran formvollendet serviert wird.
Vorzüge des Strandlebens
Nach einem solchen Höhepunkt empfiehlt es sich, auch die attraktiven Strände an der Südküste der Insel wahrzunehmen. Allen voran das bezaubernde Resort „Cape Weligama“, wo von einer hohen Felskante herab der Blick aus der Vogelperspektive über den vorgelagerten Sandstrand des Indischen Ozeans schweift. Hier warten abgehobene Tage, die verdeutlichen, warum Sri Lanka mit all seinen Vorzügen erneut zu einem der bevorzugten Ziele in Mittel- und Fernost aufgeschlossen hat.